Vegan Segen oder Last?

16. Juni 2025

Immer mehr Menschen entscheiden sich für eine vegane Ernährung – auch im Leistungssport scheint dies möglich. Doch kann eine rein pflanzliche Ernährung die Gesundheit und Leistungsfähigkeit tatsächlich erhalten oder sogar steigern? Eishockeyspieler Steve Hirschi teilt seine Erfahrungen und erzählt, wie die Ernährungsumstellung sein Leben verändert hat. Ergänzt wird dies durch die Einschätzungen der Expertin Evelyne Gätzi.

Wir schreiben das Jahr 2006, ein gutes Jahr für den HC-Lugano. Heute ist das Spiel um den Sieg der Schweizermeisterschaft es spielt der HC-Davos gegen den HC-Lugano. In der Garderobe macht sich die ganze Mannschaft bereit für das kommende Spiel. Um diesen Punkt zu erreichen,

musste sich Steve Hirschi fit spritzen lassen. Jetzt sitzt er nervös an seinem Platz und inhaliert wegen seinem Asthma. Als die Spieler auf das Eis gehen ist das Stadion komplett ausverkauft, alle Fans feuern ihre Teams an, es ist laut. Kurz nach Anpfiff muss der Verteidiger Hirschi das erste Mal ran. Er leistet sich ein intensives Duell mit einem Davoser Angreifer, den er trotz seinen Gelenkschmerzen und Atemproblemen aufhalten kann. Es ist ein sehr intensives und körperbetontes Spiel, das der HC-Lugano nach drei dritteln mit 4:1 für sich entscheiden kann. Somit gewinnt Hirschi seinen ersten Meistertitel. Heute fragt er sich, was alles noch möglich gewesen wäre, wenn er den Gründen für seine körperlichen Probleme früher auf den Grund gekommen wäre.

Steve Hirschi wurde ab seinem 15. Lebensjahr stark durch seine chronische, belastende körperliche Erkrankung eingeschränkt. Ab diesem Zeitpunkt entwickelte er unerwartet Asthma, das mit jedem Jahr intensiver und quälender wurde. Dies beeinträchtigte seine sportliche Leistungsfähigkeit dramatisch und machte ihm das anstrengende Training zunehmend schwerer.

«Die Ärzte konnten mir nicht helfen. Sie haben mir nur tonnenweise unnötige Medikamente verschrieben.» (Steve Hirschi)

Durch einen aufmerksamen und hilfsbereiten Freund erfuhr Herr Hirschi, dass seine langwierigen gesundheitlichen Beschwerden möglicherweise mit seiner Ernährung zusammenhängen könnten. Hirschi probierte eine völlig neue, vegane Ernährung aus und bemerkte schnell eine deutliche, spürbare und wohltuende Verbesserung seiner Gesundheit.
Es stellt sich heraus, dass die genetische Disposition von Steve Hirschi ihn besonders empfindlich auf das Milchprotein Casein reagieren lässt und dadurch das hartnäckige Asthma ausgelöst wird.

«Herr Hirschi, auf was muss man bei einer veganen Ernährung achten?»

Heute öffnet Steve Hirschi den Kühlschrank und nimmt eine frische, duftende Schale mit Quinoa heraus. Für ihn ist es selbstverständlich, die richtige Menge an hochwertigen, pflanzlichen Proteinen durch Linsen, Hülsenfrüchte und Quinoa zu sich zu nehmen. Doch warum sind Proteine überhaupt so wichtig?

«Wenn man sich vegan ernährt ist es wichtig, dass man die Proteinquellen gut kombiniert, um die Körpereigene Proteine bilden zu können» (Evelyne Gätzi)

Für die Synthese von Körpergeweben wie Muskel-, Organ- und Bindegewebe, aber auch für die Bildung von körpereigenen Proteinen wie Transportproteinen, Enzymen, Hormonen und Immunproteinen sind Proteine essenziell. Die Bausteine dieser Proteine sind Aminosäuren. Obwohl nur etwa 20 verschiedene Aminosäuren für den Proteinaufbau verwendet werden, handelt es sich um vielfältige und große Moleküle. Man unterscheidet essenzielle, bedingt essenzielle und nicht essenzielle Aminosäuren. Essenzielle Aminosäuren sind für den Körper lebensnotwendig, können aber nicht von unserem Körper selbst hergestellt werden und müssen daher über unsere Nahrung aufgenommen werden. Bedingt essenzielle Aminosäuren sind in bestimmten Lebenssituationen notwendig, da sie dann nicht in ausreichender Menge produziert werden. Nicht essenzielle Aminosäuren hingegen kann der Körper selbst synthetisieren.

Für Sportler wie Steve Hirschi ist die richtige, ausgewogene Proteinzufuhr besonders wichtig. Er erzählte uns, dass eine solche tiefgreifende Ernährungsumstellung gut durchdacht und nachhaltig sein sollte. Er selbst achtet mit großer Sorgfalt darauf, bei jeder Mahlzeit eine andere, nährstoffreiche und leckere Proteinquelle zu integrieren, um eine abwechslungsreiche, ausgewogene und gesunde Ernährung zu gewährleisten. Durch diese bewusste, vielfältige Strategie blieb seine sportliche Leistung konstant, und er bemerkte eine deutliche Verbesserung seines körperlichen und geistigen Wohlbefindens, da langanhaltende, unangenehme Beschwerden merklich zurückgingen.

Evelyne Gätzi, Ernährungswissenschaftlerin kommentiert die Erfahrung von Herr Hirschi aus fachlicher Sicht:

 Sie erklärt, dass pflanzliche Proteine eine andere Zusammensetzung der Aminosäuren haben als die eigenen Körperproteine. Daher ist es wichtig, verschiedene pflanzliche Proteinquellen zu kombinieren, um alle essenziellen Aminosäuren abzudecken. Dies erhöht die biologische Wertigkeit der Proteine. Eine besonders empfehlenswerte Kombination sei Vollkorngetreide mit Hülsenfrüchten. Wenn Hirschi zum Salat greift, denkt er nicht nur an den frischen Geschmack, sondern auch an die Auswirkungen der pflanzlichen Ernährung auf seinen Körper. Seitdem er sich vegan ernährt, hat sich sein Wohlbefinden enorm verbessert – sein Asthma verschwand, seine Erholungszeit verkürzte sich, und er fühlte sich leistungsfähiger und besser denn je. Doch pflanzliche Ernährung bringt auch Herausforderungen mit sich, insbesondere durch bioaktive Substanzen wie Phytinsäure.

Phytinsäure dient in pflanzlichen Lebensmitteln als Speicher für Phosphat und Kationen, die für das Wachstum der Pflanze essenziell sind. Allerdings kann sie zweifach positiv geladene Ionen wie Eisen, Calcium, Zink oder Magnesium binden, wodurch deren Aufnahme im Körper gehemmt wird. Eine zu hohe Zufuhr von Phytinsäure könnte aus ernährungswissenschaftlicher Sicht langfristig zu Mangelerscheinungen führen, die wiederum Probleme wie Verstopfung oder Durchfall nach sich ziehen können. Hirschi jedoch hatte mit solchen Mängeln keine Schwierigkeiten. Er bemerkte zwar anfänglich eine gewisse Müdigkeit, doch nach etwa einem Jahr hatte er seine Ernährung optimiert und konnte ohne gesundheitliche Einschränkungen seine Profikarriere fortsetzen.Ein sehr kritischer Punkt bei der rein pflanzlichen Ernährung ist die Eisenversorgung. Während Fleisch Eisen in zweiwertiger Form enthält, liegt es in Pflanzen hauptsächlich als dreiwertiges Eisen vor. Diese Form kann vom Körper nicht direkt resorbiert werden, weshalb es schwieriger ist, den Eisenbedarf über pflanzliche Lebensmittel zu decken. Hirschi war sich dessen bewusst und achtete darauf, eisenreiche pflanzliche Lebensmittel mit Vitamin C zu kombinieren, um deren Aufnahme zu verbessern. Ernährungsexpertin Evelyne Gätzi bestätigt, dass Veganer nicht zwangsläufig an Eisenmangel leiden, da sich der Körper an eine geringere Zufuhr anpassen kann und das vorhandene Eisen effizienter nutzt. Dennoch sind die Eisenwerte von Veganern  und Veganerinnen im Durchschnitt niedriger als die von Mischköstlern.

Neben Eisen spielt auch Vitamin B12 eine entscheidende Rolle. Es ist für den Energiestoffwechsel, den Aufbau der Nervenzellen sowie für die Blutbildung unerlässlich. Da B12 fast ausschließlich in tierischen Lebensmitteln vorkommt, stellt es eine besondere Herausforderung für Veganer dar. Frau Gätzi betonte, dass Vitamin B12 unbedingt über Nahrungsergänzungsmittel wie Tabletten oder Sprays zugeführt werden muss, da ein Mangel zu irreversiblen neurologischen Schäden führen kann. Der Körper kann zwar Vitamin B12 für 3 – 5 Jahre in der Leber speichern, doch sobald die Reserven aufgebraucht sind, wird es kritisch. Hirschi war sich dessen bewusst und achtete darauf, seinen Spiegel regelmäßig durch Bluttests überprüfen zu lassen. Er integrierte Algen in seinen Speiseplan, die geringe Mengen an Vitamin B12 enthalten, und stellte sicher, dass er keine Mangelerscheinungen entwickelte.

Die Zubereitung der Lebensmittel spielt ebenfalls eine große Rolle. Evelyne Gätzi erklärte, dass sich die Wirkung der Phytinsäure durch Einweichen oder Kochen der Lebensmittel reduzieren lässt. Diese einfache Maßnahme verbessert die Verfügbarkeit wichtiger Mineralstoffe und hilft, potenzielle Mängel zu vermeiden. Hirschi bestätigte, dass es eine Weile dauerte, bis er die perfekte Balance in seiner Ernährung gefunden hatte. Anfangs musste er experimentieren, um herauszufinden, welche Lebensmittel er wie kombinieren musste, um seinen Nährstoffbedarf optimal zu decken. Doch nach einiger Zeit hatte er den Dreh raus und konnte nicht nur ohne Mängel leben, sondern fühlte sich sogar gesünder als zuvor.

Sein Fall zeigt, dass eine gut durchdachte vegane Ernährung nicht zwangsläufig zu Mangelerscheinungen führen muss. Mit dem richtigen Wissen und bewussten Entscheidungen lassen sich viele potenzielle Nachteile ausgleichen. Hirschi betont, dass er vor seiner Umstellung auf die vegane Ernährung regelmäßig an Nährstoffmängeln litt – unter anderem an einem Calciumdefizit. Nach der Umstellung verbesserte sich sein Gesundheitszustand erheblich, solange er darauf achtete, Vitamin B12 gezielt zuzuführen.

«Falls ich mal zu wenig Vitamin B12 hatte, dann nahm ich eine TabletteB12 über eine kurze Zeitdauer oder eine Spritze. Ich habe 17 Jahre lang Tablette geschluckt und Medikamente inhaliert. Das war kein Problem. Das ist nicht im Vergleich zwischen einer Krankheit und einer kleinen Tablette für das Vitamin B12». (Steve Hirschi)

Steve Hirschi

Steve Hirschis Geschichte zeigt eindrucksvoll, wie tiefgreifend unsere Ernährung unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit beeinflussen kann. Sein Weg zur veganen Ernährung war kein einfacher, doch er hat ihm nicht nur zu körperlicher Gesundheit, sondern auch zu mentaler Stärke und Lebensqualität verholfen. Sein Beispiel regt zum Nachdenken an: Was wäre möglich, wenn wir alle bewusster darauf achten würden, was wir unserem Körper zuführen? Vielleicht liegt die Zukunft des Sports und unserer Gesundheit nicht in immer neuen Medikamenten, sondern in der Kraft natürlicher, pflanzlicher Lebensmittel.